junge Welt, 05.11.2002 Weg und Ziel Internationaler Irak-Kongreß in Berlin: Alternativen zu Embargo und Krieg Rüdiger Göbel Ist der drohende neue Krieg am Golf noch zu stoppen? »Ja, noch ist nichts entschieden«, verbreiten Illusionisten als frohe Botschaft. Ja, schränken Realisten ein, aber die Zeit ist verdammt knapp. Es bleiben bestenfalls noch vier Wochen. »Bis Ende November haben die USA ihre militärischen Vorbereitungen voraussichtlich abgeschlossen. Anfang bis spätestens Mitte Dezember ist mit massiven Luftangriffen auf Irak zu rechnen, Anfang Januar könnten dann US-Bodentruppen in das Zweistromland einrücken.« Das militärische Szenario, das der ehemalige Offizier der US-Marineinfanterie Scott Ritter am Wochenende in Berlin skizzierte, war knapp, klar und beängstigend realistisch. Ein Krieg gegen Irak wird einem »Massaker an der irakischen Bevöl- kerung« gleichkommen, militärisch hat das ölreiche Land keine Chance. Der das sagte, dürfte es wissen. Ritter kämpfte im Golfkrieg 1991 und ist nach wie vor stolz, »Marine« zu sein und seinem Land als Soldat zu dienen. Nach dem Krieg vor elf Jahren leitete Ritter eine UN-Inspektorengruppe im Irak. Er galt als »Falke« unter den Waffen- suchern und schied 1998 mit der Begründung aus dem Dienst, daß die UNO und die USA ihn nicht genügend in seinem harten Kurs gegenüber Bagdad unterstützten. Das aktuelle Kriegsvorhaben seines Präsidenten indes lehnt Ritter kategorisch ab. Dieses hätte nichts mit den Werten und Normen der amerikanischen Verfassung zu tun. Vielmehr würden die Bevölkerung seines Landes und die ganze Welt systematisch belogen, nationales wie internationales Recht gebrochen. Bush seniors strammer Krieger avancierte in den vergangenen Monaten zum international bekanntesten Gegner der Angriffspläne von Bush junior. Allen Kriegsgefahren zum trotz gab sich der frühere UN-Waffeninspek- teur auf der internationalen Irak-Konferenz im Rathaus Schöneberg optimistisch: US-Präsident George W. Bush ist zu stoppen. Wichtig sei, das Weiße Haus international zu isolieren und die US-ameri- kanische Antikriegsbewegung in ihren Protesten zu unterstützen. Deutschland komme hierbei eine Schlüsselposition zu, gehört das Land doch zu den engsten Verbündeten der USA. »Sorgen Sie dafür, daß die Bundesregierung bei ihrem Nein zum Irak-Krieg bleibt«, mahnte Ritter die gut 300 Konferenzteilnehmer am Samstag nachmittag. Der US-Führung gehe es am Golf weder um Demokratie, noch um Menschen- rechte. Auch nicht um Öl allein. »Die USA wollen die globale Dominanz.« Diese Politik sei auf einen einfachen Begriff zu bringen: Imperialismus. »Helfen Sie uns, diese Politik zu ändern«, bat der bekennende Republikaner Ritter seine Zuhörer in Berlin. Und an die Adresse der Bundesregierung schickte er die Botschaft: »Die Amerikaner brauchen die kritische Stimme Europas. Die Bundesregierung und die EU müssen Bush klarmachen, daß er im Kriegsfall allein steht.« Hans von Sponeck, von 1998 bis 2000 Koordinator des humanitären Hilfsprogramms der UNO im Irak, verwies auf die gravierenden Folgen des langjährigen Embargos. »Die Verarmung im Irak ist total«, so Graf von Sponeck. »Sanktionen sind eine >falsche Politik<, sie sind völkerrechtswidrig und verletzen die Menschenrechte.« Es sei eine Tragik, daß sich der internationale Kongreß aufgrund der aktuellen Entwicklung so sehr mit Kriegsdrohungen beschäftigen muß, »obwohl es viel mehr um die Blockade gehen müßte«. Hierzu hätten sich die Bundesregierung und der Deutsche Bundestag nicht einmal geäußert. Die politischen Parteien in Deutschland hätten einen enormen »Nach- holbedarf in Sachen Irak«. Ein »Nein zum Krieg« müsse verbunden werden mit einem »Nein zum Embargo«, erklärte Hans von Sponeck. Innerirakische Menschenrechtsverletzungen, die Saddam Hussein zu verantworten habe, könnten nur auf dem Weg des Dialogs beantwortet werden. Krieg und Sanktionen seien keine Alternativen. Diese Position hatte auch Barbara Lochbihler, Generalsekretärin der deutschen Sektion von Amnesty International, am Freitag abend zum Konferenzauftakt bezogen. Ein Bombenkrieg gegen Irak sei kein Mittel, um den Menschenrechtsverletzungen des irakischen Regimes beizukommen. Krieg selbst sei eine massive Menschenrechtsverletzung. Amnesty habe daher ausdrücklich beim Weißen Haus protestiert, daß US-Präsident Bush Berichte der Organisation als Rechtfertigung für einen Angriff mißbrauche. Kritisch äußerte sich Lochbihler auch zu den Sanktionen, die ob ihrer Folgen für die Zivilbevölkerung von einer Menschenrechts- organisation nicht unterstützt werden könnten. Ausführlich schilderte die ai-Vertreterin vor allem aber schwerste Menschenrechtsverbrechen, die die irakische Führung zu verantworten habe. Diese seien nicht zu entschuldigen oder mit äußerer Bedrohung zu rechtfertigen. Vertreter der irakischen Exilopposition hatten eine Teilnahme an dem zweitägigen Kongreß abgelehnt. Sie mutmaßten, die Debatte ziele auf eine »Rehabilitierung Saddam Husseins« ab. Vorträge wie Diskussion zeigten, wie absurd diese Vorwürfe gegenüber den Kongreßveranstaltern, darunter die Initiative gegen das Irakembargo, die Ärzteorganisation IPPNW, die Deutsch-Irakische Gesellschaft sowie Gruppen aus der Friedensbewegung, waren. »Wege aus der Krise« skizzierten der irakische Botschafter in London, Mudhafar A. Amin, sowie der schwedische Konfliktforscher Jan Øberg. Irak habe in den vergangenen Jahren enorme Anstrengungen unternommen, wieder diplomatische Beziehungen mit seinen Nachbarländern aufzunehmen und die Kontakte zu normalisieren, erklärte Amin. Gerne würde Bagdad auch in Dialog mit der britischen oder US-amerikanischen Regierung treten, was von diesen aber verweigert werde. »Es gibt im Irak keine Feindschaft oder Vorbehalte gegenüber dem Westen. Wir wollen einzig unter normalen Bedingungen leben.« Es war das erste Mal seit dem Golfkrieg 1991, daß ein Vertreter der irakischen Regierung auf einem internationalen Kongreß in Deutschland sprechen konnte. Und es ist den Veranstaltern hoch anzurechnen, daß sie allen Anwürfen zum Trotz an ihrem Konzept festhielten, auch einen Referenten aus dem Irak mit aufs Podium zu holen. Jan Øberg (Transnational Foundation for Peace and Future Research) präsentierte am Samstag Alternativen zum »Konzept Krieg«. Wenn keine anderen Optionen formuliert werden, wird es zwangsläufig zum Angriff kommen, erklärte der schwedische Konfliktforscher. Wenn die Bundes- regierung einen Krieg gegen Irak verhindern wolle, müsse sie so rasch als möglich die Botschaft in Bagdad wieder eröffnen. »Alle EU-Staaten sollten dies tun.« Nur so seien Gespräche auf höchster politischer Ebene im Irak möglich. Die Europäische Union müsse eine »Monitoring Group« in den Irak entsenden und eigene Forderungen an Bagdad formu- lieren. Diese müßten »hart, aber fair« sein. Es könne nicht angehen, daß in der UNO alle Staaten wie gelähmt ihre Hände in den Schoß legen, nur weil ein Land Krieg führen wolle, so Øberg. Wer den Irak verändern wolle, müsse zur Öffnung des Landes beitragen, nicht zu dessen weiterer Isolierung. Schade, daß die »demokratische irakische Opposition« einen Dialog, wie er in Berlin eingefordert wurde, ablehnt. Für sie bleibt das Ziel, der Sturz Saddam Husseins, der Weg. Ein zuverlässiger Bündnis- partner gegen den Krieg ist sie damit nicht. * Kongreßdokumentation: www.irak-kongress-2002.de