sueddeutsche.de, 02.11.2002 Interview „Nennt ihn King George“ Scott Ritter, ehemaliger UN-Waffeninspekteur, kritisiert die Irak-Politik der USA und fordert die Deutschen auf, selbstbewusst ihre Meinung zu sagen. Interview: Simone Mir Haschemi sueddeutsche.de: Warum kämpfen Sie als überzeugter Golfkriegs-Veteran so vehement gegen George W. Bushs Kriegspläne? Scott Ritter: Wir haben die Charta der UNO unterzeichnet, die sehr genau besagt, unter welchen Bedingungen Staaten Krieg führen sollen. Gründe wären etwa die Selbstverteidigung oder Situationen, in denen die internationale Sicherheit bedroht ist. Das ist im Moment nicht der Fall. Warum also sollten die USA einen Krieg führen? sueddeutsche.de: Was treibt Bush dann? Ritter: Der Irak-Krieg ist nicht dazu gedacht, die USA oder die internationale Sicherheit zu verteidigen. Der Irak ist die erste Schlacht in einem fortdauernden Krieg amerikanischer imperialistischer Aggression. Ich werde nicht für mein Land kämpfen, um amerikanischen Imperialismus zu verteidigen. sueddeutsche.de: Weshalb kommt George Bush mit seinen Kriegsplänen in der amerikanischen Öffentlichkeit und auch im Kongress durch? Ritter: Bush bedient sich einer Politik der Angst und der Ignoranz, besonders seit dem 11. September 2001. Wenn der Präsident erklärt, der Irak könne die USA angreifen, akzeptieren die Amerikaner das ohne Nachfrage. Bush sagt, im Krieg gegen den Terror könne man nur für ihn oder für die Terroristen sein. Wer seine eigene Meinung sagt, steht als unpatriotisch oder als Verräter da. Das ist ein kompletter Bruch mit den Werten und Normen der amerikanischen Verfassung. sueddeutsche.de: Sie werfen ihrem Präsidenten Verfassungsbruch vor? Ritter: Soweit ist es noch nicht. Aber ich mache mir große Sorgen um die Richtung, in die die USA unter Bush gehen. Wir sind nicht länger eine Demokratie, wenn es unter der Diktatur einer Person zu einem Krieg gegen den Irak kommt. Dann nennt ihn nicht mehr Präsidenten, nennt ihn „King George“. sueddeutsche.de: Welche Alternativen gibt es, um Saddam Hussein loszuwerden? Ritter: Wenn Saddam Hussein ein Kriegsverbrecher ist und die Menschenrechte verletzt, müssen wir es beweisen und ihn auf internationaler Basis anklagen. Es gibt immer eine Alternative zum Krieg. sueddeutsche.de: 1996 stellten die UN-Waffeninspektoren fest, dass der Waffenbestand im Irak zu 90 bis 95 Prozent abgerüstet sei. Ist diese Zahl auch heute noch realistisch? Ritter: Über 90 bis 95 Prozent der Waffen konnte Bericht erstattet werden, über den Rest nicht. Aber das bedeutet nicht notwendigerweise, dass der Irak auch noch soviel besitzt. Die Inspekteure müssen in das Land gehen, um herauszufinden, was damit passiert ist. sueddeutsche.de: Könnten die Waffeninspekteure ungehindert arbeiten? Ritter: Die Möglichkeit besteht. Aber es gibt natürlich keine Garantie. Der Irak müsste kooperieren, nicht mehr betrügen und keine Versteckspiele mehr spielen. Die Inspekteure selbst müssen sicher gehen, dass die Abrüstung ihr Ziel ist, nicht die Abschaffung des Regimes. Sie dürfen nicht von den USA manipuliert werden, wie das in der Vergangenheit der Fall war. sueddeutsche.de: Warum sind die Inspektoren noch nicht im Irak? Ritter: Weil die USA die Inspekteure als Bedrohung für ihren Krieg gegen den Irak ansehen. Die USA wollen keine Inspekteure im Irak. Zumindest wollen sie sicher gehen, dass sie den Ausgang der Untersuchungen so manipulieren können, dass ihr militärischer Schlag gerechtfertigt wird. sueddeutsche.de: Sie fordern Deutschland auf, Kritik an der Irak-Politik der USA deutlich zu äußern, gleichzeitig kritisieren Sie einen wachsenden Anti-Amerikanismus in Deutschland. Ritter: Die Deutschen sollen erkennen, dass die Amerikaner ihnen Aufmerksamkeit schenken. Aber wenn wir jemanden sagen hören, „America go home“, gehen wir in Verteidigungsstellung und ignorieren die Botschaft. Ihr habt eine wichtige Botschaft, die Frieden und Gewaltlosigkeit vermitteln will. Verderbt sie nicht mit stumpfem Anti-Amerikanismus. sueddeutsche.de: Sie haben gesehen, wie die Position der Bundesregierung von der amerikanischen Seite aufgenommen wurde. Ritter: Deutschland muss sich entscheiden, ob es ein souveräner Staat mit einer Flagge sein will, die Deutschland repräsentiert, oder ob es seine Flagge gegen die amerikanische tauschen will und sagen: „Wir sind eine amerikanische Kolonie“. sueddeutsche.de: Wann werden die Amerikaner zuschlagen? Ritter: Sobald wir Flugzeugträger-Kampfeinheiten im Persischen Golf haben, werden wir sie nicht als Ziele herumschwimmen lassen, sondern sie benutzen. Meiner Einschätzung nach wird das Mitte, Ende Dezember der Fall sein.